
67%
(6 Stimmen) |
Emil Huber sagte October 2017
Vielleicht klärt folgendes etwas auf, wie es mit dem Geld heutzutage (wo Geld nicht mehr aus dem seltenen Metall Gold besteht) so läuft:
Schulden, Defizite und Moderne Geldtheorie
Ein Interview mit Bill Mitchell, geführt von Winston Gee
(Bill Mitchell ist Professor für Wirtschaftsforschung und Direktor des Zentrums für „Vollbeschäftigung und Gerechtigkeit“ an der Universität von Newcastle in Australien. Der folgende Dialog ist eine editierte Abschrift des am 15. August 2011 geführten Interviews.)
Professor Mitchell, heute möchte ich mit Ihnen über moderne Geldtheorie ([Modern Monetary Theory] MMT) sprechen – deren theoretischen Ansatz Sie im Wesentlichen mit entwickelt haben – und deren Bedeutung für aktuelle Debatten über die öffentlichen Finanzen. Ich weiß, Sie verfolgen den Diskurs des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams recht bissig. Zum Beispiel schrieben Sie kürzlich in Ihrem Blog, daß „die Wirtschafts-Medien von finanziellen Fragen folgender Art dominiert werden – zu viel öffentliche Verschuldung; Schulden-Deckelung; Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen; Länderrisiko, und von dem ganzen Rest der Nicht-Fragen, die in den Mittelpunkt der Debatten gerückt sind.“ Könnten Sie sich einen Moment Zeit nehmen, zu erklären, warum diese Dinge der modernen Geldtheorie keine Probleme bereiten?
Das wichtigste Mißverständnis ist, daß die Moderne Geldtheorie (MMT) irgendwie ein Ideal oder eine neue Regelung, die eingeführt werden könnte, umreißen würde. Tatsache hingegen ist, daß MMT nur das System beschreibt, in dem die meisten Länder seit 1971 leben, als US-Präsident Richard Nixon die Konvertierbarkeit des Dollar in Gold aussetzte. Hierdurch wurde das System fester Wechselkurse aufgegeben, auf das sich alle Länder geeinigt hatten, d.h. ihre Währungen gegenüber dem Dollar festzusetzen, der wiederum im Preis gegen Gold fix war. Seit jenem Tag leben also die meisten von uns in einem sogenannten Fiat-Währungssystem [zu lat. fiat „es möge entstehen“, ist Konjunktiv des Präsens des Verbs fieri].
In einem Fiat-Währungssystem hat die Währung Legitimität auf Grund der Gesetzgebung. Die Regierung sagt uns: Dies ist die Währung und dann legalisiert sie sie als solche. Die Währung hat keinen inneren Wert. Was ihr Wert gibt, was uns motiviert, sie zu gebrauchen, ist die Tatsache, daß die Regierung vorschreibt, sie zu verwenden, daß alle steuerlichen Pflichten auf diese Währung lauten und in ihr bedient werden müssen. Wir haben keine Wahl. Wenn Sie zum Beispiel in Amerika leben, haben Sie die amerikanischen Steuern in US-Dollar an den IRS [der Internal Revenue Service ist die Bundessteuerbehörde der USA] zu zahlen. Das heißt die Nachfrage nach der Währung, die ansonsten nur wertlose Fetzen Papier wäre, ist bestimmt durch die Tatsache, daß alle steuerlichen Pflichten mit dieser Währung gelöscht werden müssen. Wenn man dies bedenkt, erkennt man sofort, daß die nationale Regierung das Monopol auf die Ausgabe dieser Währung hat. Das bedeutet, daß in einem solchen System die nationale Regierung nie zu wenig von dieser Währung haben kann, es kann ihr nie das Geld ausgehen. Sie braucht nicht Sie oder mich, um ihr Geld zu leihen oder Sie und mich, um ihr Steuern zu entrichten, damit sie mehr Geld bekommt. Ihr kann niemals das Geld ausgehen. Die erste grundlegende Einsicht von MMT ist also: Regierungen sind in ihren Ausgaben nicht durch die Notwendigkeit eingeschränkt, Einnahmen haben zu müssen.
Wenn Sie dieser Logik ein wenig weiter folgen, könnten Sie fragen: „Nun, zahlen wir nicht Steuern und kaufen Anleihen, so daß die Regierung Geld ausgeben kann?“ Nun, stellen Sie sich bitte zunächst selbst die Frage: „Woher bekommen Sie das Geld, Steuern zu zahlen und Anleihen zu kaufen?“ Und die Antwort ist die, daß wir erst ab dem Moment die Hand auf die Währung legen können, wenn die nationale Regierung sie ausgibt. Die Ausgabe der Währung ist die erste Handlung in einem Fiat-Geldsystem, die Besteuerung und die Kreditaufnahme sind nachfolgende Handlungen. In der Tat, die Regierung besteuert nur etwas, das sie bereits ausgegeben hat, und sie holt mittels Kreditaufnahme wieder das Geld zurück, das sie bereits ausgegeben hat. Sobald man dieser Logik folgt, wird deutlich, daß die meisten der Sätze, die rund um den Globus die aktuellen Debatten dominieren, auf falschen Prämissen beruhen.
Eine weitere grundlegende Prämisse der MMT ist die, daß wir heute in einer Welt flexibler Wechselkurse leben, so daß alle Ungleichgewichte auf dem Devisenmarkt über Währungsschwankungen aufgelöst werden. Das heißt, daß die inländischen politischen Instrumente –Zentralbank und Finanzpolitik– frei in ihrer innenpolitischen Zielsetzung sind, wissend, daß der Wechselkurs der Währung Ungleichgewichte aufgrund von Handelsdefiziten, Handelsüberschüssen etc. verrechnen (ausgleichen) wird.
Ich möchte auf ein paar Sachen abheben. Die erste ist, daß MMT zu der grundlegenden Einsicht führt, daß Regierungen nicht im voraus Steuern erheben oder sich Geld leihen müssen, bevor sie es ausgeben können. Angesichts der jüngsten Aufregung über Rating-Herabstufungen könnte man sich fragen: Wenn das stimmt, warum mühen sich dann die Regierungen weiterhin mit der Schuldenfrage und mit der Disziplin der Anleihenmärkte und den Rating-Agenturen ab?
Ja, das ist eine interessante Frage, denn es handelt sich hierbei um eines der Dinge, die wirklich vereiteln, daß Leute die Moderne Geldtheorie (MMT) verstehen. Unter dem sogenannten Bretton-Woods-System – dem System der festen Wechselkursanbindung, das von der Nachkriegszeit bis 1971 galt – hatten die Regierungen beschränkte Einnahmequellen, weil die Zentralbank nur erlauben konnte, so viel Geld in den Wirtschaftskreislauf zu bringen, wie es dem von ihr gehaltenen Gold und somit dem Wert der Währung entsprach. Wenn die Regierung also mehr Geld ausgeben wollte, mußte sie dafür sorgen, daß sie Geld von einem der Wirtschaftssubjekte nahm, so daß die gesamte Geldmenge konstant blieb. In dieser Art von Geldsystem hatte die Regierung erst zu besteuern oder auszuleihen, um [dann] ausgeben zu können. Diese Art der Argumentation hat sich in das moderne Geldsystem eingeschlichen. Sie gilt jedoch nicht mehr, da wir Fiat-Währungen anstatt konvertierbarer Währungen verwenden.
Aber es steckt wahrscheinlich mehr als nur das dahinter. Ein Erklärungsmuster ist, daß der Berufsstand [der Ökonomen] die Folgerungen eines Fiat-Währungssystems nicht ausgearbeitet habe. Ich glaube das nicht, denn die Menschen sind nicht so albern. Also ich denke, Sie haben tiefer zu graben, um zu verstehen, warum wir am gold-standard-typischen Verhalten festhalten, in einem System, das ein solches Verhalten nicht benötigt.
Wenn Sie zurück in die Geschichte schauen und verschiedene verwaltungstechnische Diskussionspapiere prüfen, finden Sie deutliche Anzeichen dafür, daß Verwaltungen administrative Anordnungen kombiniert haben, wie [z.B.] eine bestimmte Buchführung bei der Ausgabe von Schuldverschreibungen, so daß es aussieht, als ob die Schulden tatsächlich die Staatsausgaben finanzierten. Diese administrativen Anordnungen wurden in den späten 1970er und den 1980er Jahren verstärkt, weil die Mehrheit der Ökonomen wußte, daß diese bestimmte Kombination administrativer Anordnungen die Freiheit der Regierungen beschränken würde, Mehrausgaben zu tätigen. Die Mehrheitsmeinung [der Ökonomen] manifestiert sich in der Überzeugung, daß die Besteuerung individuelle Anreize verzerre, daß die staatliche Kreditaufnahme die Zinsen nach oben treibe und damit Investitionen des privaten Sektors untergrabe, und daß letztendlich die Gefahr von Staatsausgaben Hyperinflation sei.
Handelt es sich also um Ideologie, oder ist es auch ein Mangel an Verständnis davon, wie das moderne Geldsystem tatsächlich funktioniert?
Nun, es herrscht sicherlich ein verzerrtes Bild unter Mainstream-Ökonomen vor, wie das moderne Geldsystem funktioniert. In ihren Lehrbüchern finden Sie ein Kapitel über die Rolle der Zentralbank, in dem beschrieben wird, daß die Hauptfunktion der Zentralbank darin bestehe, die Geldmenge durch Offenmarktgeschäfte zu kontrollieren – d.h. durch den Kauf und Verkauf von festverzinslichen Wertpapieren [ein Vorgang, der zwischen der Zentralbank und den Banken stattfindet] die Nachfrage nach Geld im Verhältnis zum Angebot zu regulieren. Durch diesen Prozeß, so die Theorie, sei die Zentralbank in der Lage, das Zinsziel festzusetzen.
Diese Lehrbucherklärung ist völlig falsch. Die Zentralbanken können nicht die Geldmenge kontrollieren. Und nicht viele Zentralbanken schenkten, über die Mitte der 1980er Jahre hinaus, der Geldmengensteuerung Glaubwürdigkeit. Denn sie erkannten, daß die Zentralbanken nur die Zinsen, nicht aber die Geldmenge steuern können. Nach dieser Erkenntnis wurde die Geldpolitik durch die Einrichtung eines kurzfristigen Zinssatzes und Sicherstellung der Liquidität auf den Kassamärkten zum Ausdruck gebrach. [Auf den Kassamärkten finden immer nur kurzfristige Abwicklungen von Börsengeschäften statt {d.h. Lieferung und Bezahlung innerhalb von 2 Börsentagen, d.h. „overnight“}; im Gegensatz zu Termingeschäften, die auf dem Terminmarkt der Börse {oder weit häufiger außerbörslich, dann auf dem sogenannten und bedenklichen „OTC-Market“} abgewickelt werden, bei denen Lieferung und Bezahlung also zeitlich immer auseinander liegen.].
Jede der Geschäftsbanken hat ein Konto bei der Zentralbank – ein Reserve-Konto – und die Reserve-Konten werden als tägliche Basis verwendet, um sicherzustellen, daß die Schecks, die wir alle unterschreiben, an jedem Tag einzulösen sind. Typischerweise interessiert sich die Zentralbank nicht für diese Reserven, so daß diese als totes Geld in der Bank stecken, wenn das Volumen der Reserven das von jeder Bank als notwendig erachtete Maß übersteigt. Heute stimmt das für einige Länder nicht mehr, aber selbst in Staaten wie Australien, in denen die Zentralbank immer eine Rendite auf Übernacht-Geldreserven gezahlt hat, ist diese geringer als der Leitzins. In den USA und Japan zum Beispiel ist der Null-Rücklauf dieser Reserven historisch. Also werden Banken versuchen, überschüssige Reserven an andere Banken zu verleihen, die einen Mangel daran haben könnten. Die Konkurrenz auf diesem sogenannten Interbankenmarkt bewirkt, daß das [von der Zentralbank] festgesetzte Zinsziel nach unten gefahren wird, weil die Banken jedem verzinsten Geldrückfluß, der über Null liegt, den Vorzug geben. Wenn die Zentralbank diesen Prozeß weiter ermöglicht, verliert sie [schließlich] die Kontrolle über die Geldpolitik.
Die Art und Weise, wie die Zentralbank die Kontrolle über ihren Ziel-Zinssatz halten kann, besteht darin, daß sie die Liquidität dieser Reserven verwaltet. Das heißt nimmt die Zentralbank wahr, daß die Banken ihre Reserven an einem bestimmten Tag hochhalten, lässt sie sie aus dem System abfließen, indem sie sie als einen zinstragenden Vermögenswert in Form einer Staatsanleihe ausgibt. Die Funktion von Staatsanleihen ist dann, die Zentralbank mit der Kapazität auszustatten, die sicherstellt, daß es keinen Wettbewerbsdruck auf den Ziel-Zins gibt. Hieran können Sie ersehen, daß die Funktion der Staatsanleihen etwas ganz anderes ist, als der Regierung Geld zu leihen.
Sie hören viele Politiker von „der Rückzahlung der Staatsschulden“ sprechen. Was halten Sie von diesem Spruch?
Die historische Wahrheit ist die, daß die nationalen Regierungen nur sehr selten von ihrem gesamten Schuldenstand herunterkommen. Eine Schuldverschreibung ist eine Verpflichtung der Regierung zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Kapitalbetrag zu zahlen, und in der Zwischenzeit einen gewissen Ertrag oder Zinsen auf diese Schulden gewähren. Regierungen zahlen Schulden auf für sie charakteristische Weise zurück, aber insgesamt, in einem makroökonomischen Sinne, bringen die Regierungen in der Regel ihren gesamten Schuldenstand nicht herunter. Es gibt einige seltene Fälle, in denen Regierungen ihren gesamten Schuldenstand rückgeführt haben, wie Australien zwischen 1996 und 2007.
Die konservative Regierung war in dieser Zeit sehr von jener neoliberalen Idee angetan, alle Bestände an ausstehenden Schulden loszuwerden, und so fing sie an sehr große Haushaltsüberschüsse zu bilden und zahlte ihre Schulden zurück. Nach etwa fünf Jahren wurde der öffentliche Anleihenmarkt so dünn – das heißt, es war eine solch geringe Menge an öffentlichen Schulden im System verblieben – daß die großen Investmentbanken zu protestieren begannen, da sie sich auf die Staatsschuld als risikofreie Anlage und Sicherung für alle anderen Risiken verlassen hatten.
Seltsamerweise vereinbarte die australische Bundesregierung, obwohl sie weiterhin Haushaltsüberschüsse erzielen würde, daß auch weiterhin Schuldverschreibungen in einer bestimmten Höhe ausgegeben werden sollten, um sicherzustellen, daß der Unternehmenssektor seine risikofreie Anlage habe. Während das Wall Street Journal das Übel der öffentlichen Schulden verurteilt, ist es tatsächlich so, daß der Finanzsektor nicht genug davon bekommen kann. Dies ist ein sehr schönes Beispiel für die Funktion der Verschuldung in der Neuzeit.
In der Modernen Geldtheorie sehen wir die öffentliche Verschuldung als privaten Reichtum und die Zinszahlungen als privates Einkommen. Die Staatsverschuldung ist wirklich nur ein Ausdruck des angesammelten Haushaltsdefizits, daß in der Vergangenheit ausgeführt wurde. Diese Defizite haben dem privaten Sektor finanzielle Vermögenswerte hinzugefügt, wodurch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen befriedigt wird, die es uns ermöglicht, Einkommenszuwächse zu haben. Und das Einkommenswachstum hat uns erlaubt, finanzielle Vermögenswerte in einem weit größeren Ausmaß zu speichern und zu akkumulieren als ohne Haushaltsdefizite. Das einzige Problem, das eine fortschrittliche Person mit der öffentlichen Verschuldung haben könnte, ist die Frage, wem die Schuldverschreibungen gehören, und ob daraus eine gerechte Verteilung des privaten Reichtums resultiert.
Darüber ist eine Debatte zu führen. Aber es gibt keinen Grund, von der Höhe der Staatsverschuldung besessen zu sein. Die Regierung kann immer den öffentlichen Schuldenstand begleichen. Ein Staat kann niemals Bankrott gehen. Öffentliche Schuldverschreibungen werden fraglos immer erfüllt. Es gibt kein Risiko. [Die Situation in einer Währungsunion ist eine andere, wenn es keine gemeinsamen Anleihen gibt. Dann wird nämlich die gemeinsame Währung zu einer Fremdwährung für die einzelnen Mitgliedsländer, auf deren Staatsanleihen zu spekulieren sich lohnen kann {so man ein spekulationsgetriebenes Bewußtsein hat}, und dies ist in der EWU der Fall. Keinen öffentlichen EWU-Anleihenmarkt eingerichtet zu haben, ist somit einer der Konstruktionsfehler der EWU.] Weit wichtiger ist hingegen der Sachverhalt, daß diese öffentlichen Schulden, Firmen, privaten Haushalten und anderen in der Privatwirtschaft eine Möglichkeit bieten, ihren Reichtum in risikofreier Form zu parken.
Kurz gesagt, wann sollten Regierungen beginnen, Haushaltsüberschüsse zu erzielen?
Besondere Haushaltsergebnisse sollten nie ein politisches Ziel sein. Die Regierung sollte sich reale Ziele setzen. Damit meine ich Ziele, die zu einem nachhaltigem Wachstum bei Vollbeschäftigung beitragen. Warum wollen wir Regierungen? Wir wollen sie, weil sie unser Wohlbefinden verbessernde Dinge tun können, die uns als einzelne zu verwirklichen nicht möglich sind. In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß die Politik ganz darauf achten sollte, daß es genügend Arbeitsplätze gibt, daß die Armut beseitigt wird, daß die Gesundheitsversorgung und das öffentliche Bildungssystem erstklassig sind, daß Menschen, die weniger wohlhabend sind, in die Lage versetzt werden, ihre Situation zu verbessern etc.
Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, sollten die Ausgaben- und die Steuerpolitik derart sein, daß die Gesamtausgaben in der Wirtschaft ausreichen, um die reale Produktion auf das Niveau zu heben, ab dem die Unternehmen die zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte einstellen. Dies ist das Ziel und diesem Ziel muß die öffentliche Haushaltsführung dienen. Damit ist nicht gesagt, daß Haushaltsdefizite überhaupt egal wären. Der entscheidende Punkt, den die ursprünglichen Entwickler der Modernen Geldtheorie anmerken würden – ich selbst oder Randall Wray oder Warren Mosler – ist aber der, daß das Risiko des Haushaltsdefizits nicht Insolvenz, sondern Inflation ist. In dem wir das sagen, möchten wir jedoch auch betonen, daß Inflation das Risiko jeder Art von Mehrausgaben ist, ob Investitionen, Konsum, Export oder Staatsausgaben.
Jede Komponente der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage könnte die Wirtschaft bis zu dem Punkt treiben, ab dem wir Inflation kriegen. Übermäßige Staatsausgaben sind dafür [also] nicht grundsätzlich verantwortlich zu machen. Mit einem Wort können wir deutlich zum Ausdruck bringen, daß wir überzeugt sind, daß Haushaltsdefizite genauso unangemessen hoch wie unzureichend sein können. Defizite können sowohl zu groß als auch zu klein sein, und das Ziel der Regierung hat es zu sein, sicherzustellen, daß sie genau dem Maß entsprechen, das ermöglicht, alle verfügbare Produktionskapazität einzusetzen.
In wiefern unterscheidet sich dieser Ansatz von dem des dominierenden Neokeynesianismus?
Nun, das neokeynesianische Paradigma beruht auf einer Reihe falscher Prämissen. Das beeinflußt die politischen Rezepte.
Falsche Voraussetzung Nummer 1: Die Regierung muß leihen, um die Ausgaben zu finanzieren. Falsche Voraussetzung Nummer 2: Es gibt jederzeit nur ein bestimmtes Ersparnisbudget. Falsche Voraussetzung Nummer 3: Die Regierung verhindert durch eigene Kreditaufnahme dieser begrenzten Ersparnisse die Kreditaufnahme durch die privatwirtschaftlichen Kreditnehmer und der Wettbewerb um diese Mittel treibt die Zinsen.
Die Moderne Geldtheorie sagt folgendes: Es gibt keine endliche Menge an Ersparnissen in der Wirtschaft. Ersparnisse sind abhängig vom Volkseinkommen. Wenn das Volkseinkommen steigt, steigen die Ersparnisse. Wenn die Staatsausgaben also die wirtschaftliche Aktivität stimulieren und hierdurch das BIP und das Volkseinkommen, werden die Ersparnisse gleichzeitig steigen.
Das ist der erste Teil der Geschichte. Der zweite Teil ist der, daß die Kreditaufnahme des privaten Sektors nicht von festgesetzten Ersparnissen abhängig ist. Im neokeynesianischen Modell ist die Vorstellung von einer Bank derart, daß die Bank auf die Einlage der Ersparnisse der Sparer wartet, auf diese Weise nur einmal Einlagen ziehen und [entsprechend dieser Einlagen] Kredite vergeben kann. Mit anderen Worten, die neokeynesianische Konzeption ist derartig, daß die Banken in ihrer Tätigkeit durch ihre bestehenden Reserven begrenzt sind. Tatsächlich ist es aber so, daß Banken immer die Fähigkeit haben, Kredite für kreditwürdige Kreditnehmer zu schaffen, weil sie immer über mehr Reserven verfügen können [als sie Kredite ausgeben]. Banken können Rücklagen aus einer Vielzahl von Quellen bekommen. Jedenfalls wissen die Banken am Ende des Tages, daß sie ihre Reserven durch eigene Kreditaufnahme bei der Zentralbank decken können. Das heißt die Vorstellung von der Funktionsweise der Banken in der Modernen Geldtheorie ist sehr verschieden vom stilisierten Schema im Neokeynesianismus.
Der dritte Teil der Geschichte liegt in der Beantwortung folgender Frage: Was passiert, wenn die Regierung Schulden macht? Was auf dem Geldmarkt passiert ist folgendes: die Regierung kauft etwas vom privaten Sektor. Hierdurch bezahlt sie die Hersteller, diese entlohnen dann die Arbeiter. Eine ganze Reihe von Transaktionen ergibt sich aus diesem ersten von der Regierung getätigten Ankauf. Alle diese Transaktionen, auf ihrem Weg durch das Wirtschaftsystem, führen jeden Tag zu den Reserven der Banken. In der Regel – wenn auch nicht zur Zeit, denn wir sind in einer außergewöhnlichen Situation, in der die Zentralbank Zinsen auf Reserven zahlt – würden diese Reserven nur herumliegen und den Banken keine Zinsen bringen. Und typischerweise, wie ich es weiter oben schon erklärt habe, versuchen die Banken im Verfahren des Interbankenmarktes diese Reserven loszuwerden und senken hierdurch die Zinssätze.
Was Sie daraus lernen können ist folgendes: Haushaltsdefizite fahren die Zinsen, unabhängig von geldpolitischen Operationen, nach unten und nicht nach oben. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was orthodoxe Ökonomen behaupten, und das wird durch die vorliegende Kombination von extrem niedrigen Zinsen und sehr großen Haushaltsdefiziten bestätigt. [Siehe beispielsweise Japan, USA. Die hohen Zinszahlungen auf Anleihen verschiedener EWU-Länder sind hingegen nur der Beweis dafür, daß die Situation in der EWU deshalb eine andere ist, weil es hier keinen gemeinsamen Anleihenmarkt gibt.]
Englischer Originaltext findet man hier:
http://hir.harvard.edu/article/?a=2853
|